Illusion und Wirklichkeit in der Kunst

Escaping_criticism_by_Caso Eine inspirierende Überblicksausstellung im Hamburger Bucerius Kunstforum belegt erstmals, wie sich unerschöpflich und fortlaufend bis heute die Künstler an der Realität reiben. Noch bis zum 24.Mai kann die Ausstellung in Hamburg besucht werden.

Im Paragone – dem Künstlerstreit um die »wahre« Kunst – der Renaissance lieferten sich die zeitgenössischen Künstler und Maler so manche Schlacht, um das Auge des Betrachters auszutricksen. Ab und an waren es auch schnöde finanzielle Gründe, welche Marmorsäulen in Kirchen und Palästen vortäuschten oder die Werktagsseiten vieler niederländischer und altdeutscher Altäre, die in Grisailletechnik ausgearbeitet wurden. Erst kürzlich konnten die Besucher der Berliner Neuen Nationalgalerie Fotografien von Thomas Demand sehen, der ganze Ensembles perfekt aus Papier nachgestellt hatte, um diese schließlich abzufotografieren. Als Betrachter des digitalen Zeitalters und der Fotoshop-gefälschten Realität kann man sich seine Gedanken machen, wie wirklich denn die so genannte Wirklichkeit noch ist.

Mit weit aufgerissenen Augen kämpft sich im Bild oben ein Junge aus dem goldenen Bilderrahmen, den er auch noch mit seinen Händen umgreift. Noch eben ein eingeschränktes Dasein fristend, erblickt er staunend die Welt jenseits seines Rahmenhauses. Endlich befreit er sich und lässt alles Zweidimensionale hinter sich. Das vom Spanier Pere Borrell del Caso 1874 geschaffene Gemälde »Flucht vor der Kritik« trug ursprünglich den Titel »Una cosa que no pot ser« – frei übersetzt „Ein Ding der Unmöglichkeit“.

Der Wettkampf mit der Realität und das Ausreizen der Illusion bis hin zur Überbietung begleitete die Kunst von Anfang an. So malte Zeuxis bereits im 4. vorchristlichen Jahrhundert seine Trauben derart verführerisch, dass Vögel umgehend anfingen, an ihnen zu picken. Täuschend echt sehen auch die Äpfel und Birnen aus mit Faul- und Druckstellen aus, die ein anonymer venezianischer Künstler im 16. Jahrhundert aus Marmor schuf. Aus der Münchener Kunstkammer sind zahlreiche künstliche Speisen aus Gips und Keramik dokumentiert – einschließlich ganzer Fischgerichte oder Wurstzipfel. Viele weitere Illusionskünstler der Antike oder der ausgehenden Neuzeit, etwa von Lucas Cranch d.Ä. belegen, dass Illusionskunst alles andere als eine Erfindung der Gegenwart ist.

Vor allem auch in den Niederlanden steigerte sich der Realismus in der Kunst der frühen Neuzeit nach 1600 in zu einer zuvor ungekannten Wirklichkeitsnähe. Diese Epoche bildet sodann auch den Schwerpunkt der Hamburger Ausstellung. Die Gegenstände werden in originaler Größe und authentischer Materialhaftigkeit dargestellt und erhalten durch Schatten und Lichtreflexe eine Räumlichkeit von nahezu greifbarer Qualität. Die Fortschritte in den Naturwissenschaften und Erfahrungen mit optischen Experimenten schaffen neue Voraussetzungen für die Malerei. Aus Stillleben konnten sich Bildtypen wie Jagdtrophäen, Steckbretter und Kunstkammerschränke entwickeln.

MeatStone_Taiwan Illusionskunst kommt freilich nicht nur aus Europa. Während die Illusionsmalerei im ausgehenden 19. Jahrhundert in Europa an Bedeutung verlor, fand sie in den USA nach dem Ende des Bürgerkriegs bis um 1900 noch einmal weite Verbreitung. Ferdiand Danton griff mit der Thematisierung von Vergänglichkeit und Besitz durch Wecker und Dollarbündel 1894 in „Zeit und Geld“ zentrale Elemente des Vanitas-Stillleben des 17. Jahrhunderts auf, passte sie aber den wirtschaftlichen Konditionen seines Landes und seiner Zeit an. Auch Bilderrahmen-Trends entwickelten sich in jener Zeit in den USA eigenständig.
Auch die chinesische Kunst ist reich an täuschend echten Kunstobjekten. Da sich die chinesische Kultur besonders stark über das Essen definiert, sind gerade auch dort Steinskulpturen wie rechts der berühmte und im Nationalmuseum Taiwan ausgestellte „Schweinebraten“ exemplarisch für chinesische Illusionskunst. Das zuletzt genannte Objekt kann allerdings nicht in Hamburg besichtigt werden – hier muss schon die Reise nach Taiwan zur Besichtigung des Nationalmuseums, der mit Abstand bedeutdendsten Sammlung chinesischer Kunst weltweit, auf sichgenommen werden. Also besser erst einmal nach Hamburg, wer sich für Illusionskunst interessiert…

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